Ich hab Rücken und der Sohn mutiert unerwartet zum Professor. Oder zum Holzfäller. Oder eher zum Fußballfan. Schwankend zwischen Freude und Verzweiflung probiere ich seine befremdliche Behandlungsmethode aus. Ob sie wirkt?
Ich will nicht aufstehen. Widerwillig wälze ich mich im Bett, verdrehe die Gliedmaßen und lande in einer wilden Position, die man vielleicht einer Kreuzung aus Katze und Aal zumuten könnte – nicht aber einem Menschen.
Als ich schließlich beide Füße über die Bettkante schwinge, zahle ich den Preis für diese Verrenkung: Es macht Knack – und ich kann mich nicht mehr aufrichten. Wie ein gebeugtes altes Mütterchen schlurfe ich zur Tür des Sohnes.
Das ist eindeutig eine Verzweiflungstat. Im Nachhinein weiß ich selbst nicht, was ich mir davon erhofft habe. Vermutlich war mein Gehirn schlecht durchblutet, da mein Horizont nicht mehr über Bodenniveau herausreichte.
Mein Rücken schmerzt – virtuelle Cowboys liefern die Diagnose
Ich klopfe an und prompt öffnet sich die Tür. Der Sohn ragt über mir auf. Er zieht die Nase kraus, analysiert meinen Rücken und sagt im Tonfall eines Oxford-Professors: „Lumbago“.
Das spricht er englisch aus.
Mit bleibt die Spucke weg. Woher er das weiß, frage ich atemlos. Der Sohn verkündet, dass er diese Diagnose aus einem Videospiel namens „Red Dead Redemption“ kennt. Den Inhalt erklärt er mir ausführlich, obwohl ich nicht danach gefragt habe. Das Einzige, was bei mir hängen bleibt: irgendwas mit Geballer im Wilden Westen. Aha. Scheinbar ist das zeitlos mit dem Rücken – auch die virtuellen Kuhhirten sind damit gesegnet.
Zwar halte ich von solchen Spielen prinzipiell nichts, doch den Bildungseffekt kann ich kaum leugnen. Spannend ist auch, dass sich der Sohn sonst nichts merken kann. Ihm entfallen sogar Dinge, die ich ihm noch vor fünf Minuten gesagt habe. Doch dieser Begriff hat sich in sein Langzeit-Gedächtnis gebohrt. Und er hat schon lange auf eine Gelegenheit gewartet, ihn auszusprechen.
Der Taumel zwischen Elend und Freude
Von da an nimmt das Drama seinen Lauf: Drei Tage dauern meine Aufrichtungsversuche. Jedes Knacken und Stöhnen kommentiert der Sohn mit einem lang gezogenen „Lumbäigooo!!“
Dabei klingt er wie ein besessener Fußballfan oder ein Holzfäller. Beide Hände legt er an den Mund, um den Klang zu verstärken. Manchmal geht er extra ins Badezimmer, wo sein Ruf von den Kacheln widerhallt. Die Nachbarn müssen uns für völlig irre halten.
„Lumbäigooo!“
Die Situation ist so absurd, dass ich jedes Mal laut lachen muss, wenn der Sohn trötet. Das tut natürlich weh im Rücken. Daher schwanke ich ständig zwischen Heiterkeit und Verzweiflung.
An Tag zwei geht es schon besser. Aus Übermut trage ich dem Sohn auf, beim Bäcker einen „Lumbagel“ zu bestellen.
An Tag drei spüre ich den vollen Effekt der Therapie. Die Beschwerden im Rücken sind nahezu verschwunden. Ob der Junge von seinem neuen Lieblingswort ablassen wird, wage ich allerdings zu bezweifeln. Aber das spielt nun keine Rolle mehr.
Denn ich kann jetzt voller Stolz verkünden: Mein Sohn ist angehender Arzt. Und seine ungewöhnlichen Methoden werden die Medizinwelt revolutionieren.