Der Sohn will wissen, wo die Babys herkommen. Jetzt sofort. Obwohl wir uns mitten im Kreisverkehr befinden. Ein Aufklärungsgespräch mit verheerenden Folgen.
Warum ist der Himmel blau, warum ist die Sonne gelb, warum können Vögel fliegen? Es ist eine nicht enden wollende Fragestunde, von der Eltern ein Lied singen können. Aufklärungsgespräche über das Wesen der Dinge führen sie am laufenden Band. Und das oft unfreiwillig, denn es gibt kein Entkommen: Ab einem gewissen Punkt erwächst die Neugier der Kinder zu einem unbezähmbaren Drachen.
Für die Eltern ist das ein Spiel mit dem Feuer. Auch ich habe mich verbrannt. Beziehungsweise hat mich der Sohn bei unserem letzten Aufklärungsgespräch zu einem erbärmlichen Häuflein Asche versengt. Keine Sorge – ich bin wieder auferstanden. Als Phönix kann ich mich zwar nicht schmücken, aber ein solides Huhn ist doch auch was. Damit bin ich vorerst zufrieden.
Aufklärung ohne Vorbereitung
Jetzt erzähle ich euch, wie es zu dieser Transformation gekommen ist. Alles beginnt mit dem Sohn. Sein Redeschwall treibt mich in den Wahnsinn. Oft komme ich mir dumm vor, weil ich seine Fragen nicht beantworten kann. Dann sitze ich zu später Stunde noch am Rechner, um zu recherchieren.
Dabei bin ich auf eine Kinderuniversität im CD-Format gestoßen. Das ist meine Rettung. Von nun an laufen die Geschichten auf und ab. Vor dem Kindergarten, nach dem Kindergarten, beim Zähneputzen und im Auto. Dort befinden wir uns, als sich dieses Gespräch ereignet, auf das ich in keiner Weise vorbereitet bin.
Der Sohn hat mich kalt erwischt
Entspannt kurve ich auf der Landstraße dahin. Aus den Lautsprechern dröhnt eine Geschichte über nackte Statuen. Plötzlich schaltet der Sohn mit ernsthafter Miene das Radio aus. Er braucht Stille für seine wichtige Botschaft, die da lautet: „Ich will auch ein Baby-Pferd haben.“
Ich versuche, diesen Gedankensprung von nackten Statuen zu Pferden zu begreifen. Ergebnislos. Räuspernd erkläre ich, dass wir bereits ein Pferd haben. Das nimmt schon genug an Geld und Zeit in Anspruch. Doch das Kind ist unerbittlich: „Ich will aber eines für mich. Ein Kleines!“
Sachlich teile ich dem Sohn mit, dass ich kein Baby-Pferd kaufe. „Wenn, dann müsste unsere Luna eines bekommen“, erwidere ich. Das war der große Fehler.
Nun kommt der Bengel in Fahrt. Er schlägt vor, dass unser Pferd Nachwuchs bekommt. Dann spart man sich die Sache mit dem Kauf. Warum ist der Junge so clever. Hat er das etwa von mir? Da bin ich mir nicht so sicher. Meine Finger trommeln nervös auf dem Lenkrad herum. „Das geht nicht so leicht“, stelle ich klar, „dazu brauchen wir einen Hengst.“
„Warum?“
Großer Gott, wir werden doch jetzt nicht mitten im Kreisverkehr ein Aufklärungsgespräch beginnen? Doch das Kind kennt keine Gnade. Und packt seinen rhetorischen Flammenwerfer aus: „Warum brauchen wir einen Hengst?“, quäkt es beharrlich vom Beifahrersitz.
„Weil der seinen Samen in die Luna geben muss, damit ein Baby entsteht.“
„Wie macht er das?“
Kalter Schweiß tritt mir auf die Stirn. Vor meinem geistigen Auge begatten sich ungestüme Pferde. Ich versuche, dieses Bild in kindgerechte Worte zu verpacken, und nehme die dritte Abfahrt im Kreisverkehr. „Nun ja, er besteigt sie von hinten und… schießt seinen Samen in sie hinein“, bringe ich holpernd zustande.
Der Sohn fragt zurecht, wie das technisch möglich ist. Tonlos antworte ich: „„Er stellt sich auf die Hinterbeine, beißt sich mit den Zähnen in ihrer Mähne fest und steckt seinen Penis in sie hinein.“
Verstörende Bilder in kindgerechten Worten
Puh, nun ist es ausgesprochen. Hinter mir hupt jemand ungeduldig. Am liebsten hätte ich das Kind gepackt und es durch sein offenes Fenster geschoben. Soll der das Aufklärungsgespräch übernehmen.
„Was ist ein Penis?“, fragt der Junge mit derart aufrichtigem Interesse, dass es mir die Schamesröte ins Gesicht treibt. Habe ich ihm diese Grundbegriffe nie beigebracht? Ich hatte mir doch fest vorgenommen, nicht so rückständig und verklemmt über solche Dinge zu reden. Offenbar sind wir bei verniedlichten Begriffen wie Schniedel, Pimmel und Pillermann hängen geblieben.
Das ist natürlich kein Zustand, die Wahrheit muss ans Licht! Auch wenn es weh tut. Ich nehme den Faden dieses unfreiwilligen Aufklärungsgesprächs wieder auf: „Dasselbe, was du zwischen den Beinen hast. Nur ist das beim Hengst viel größer.“ Vor lauter Gerede verpasse ich beinahe die Abfahrt und biege scharf nach links ab. Dem Racker macht die wilde Raserei nichts aus.
Unbeirrt bohrt er weiter: „Kommt aus dem Hengstpenis der Samen?“ Ich bejahe mit bebender Stimme. Was der Samen dort macht, will das Kind wissen. „Der legt einen weiten Weg zurück, macht es sich in Lunas Eizelle gemütlich und wächst zum Babypferd.“
Die Sache mit dem Pferdepenis
Dem Sohn genügt diese Erklärung nicht. Sie befeuert vielmehr seine Neugier: „Aber wie kriegt er den Samen so weit in die Luna rein?“
Ich erstarre zur griechischen Statue. Zugleich ist mir klar, dass ich meinen pädagogischen Auftrag als Mutter erfüllen muss. Hier und jetzt – bei einem Aufklärungsgespräch im Auto. Tapfer erläutere ich meinem Fünfjährigen, dass der Samen sehr schnell aus dem Penis rausgeschossen kommt. Damit ist mein Pensum für heute erfüllt.
„Lass´ mich um Himmels Willen in Ruhe Auto fahren“, flehe ich, „den Rest erkläre ich dir ausführlich zuhause.“
Das ist natürlich gelogen. Insgeheim hoffe ich, dass er die Sache mit der Aufklärung und dem Pferdesex bis dahin vergessen wird. Stumm fahren wir weiter. Mein Appell hat Wirkung gezeigt. Das Kind scheint endlich zufrieden. Ich seufze erleichtert. Damit gerät das unliebsame Thema in Vergessenheit.
Karma holt mich ein
Hier könnte die Geschichte enden – das wäre schön. Doch wie wir alle wissen, ist Karma eine Bitch. Du kannst ihr nicht entkommen. Auch ich musste mich ihr stellen. Vor versammelter Mannschaft. Beim Gemüsefrühstück in der Grundschule. Die bloße Erinnerung an dieses Debakel verursacht mir Kopfschmerzen. Dabei habe ich beim Super-Gau in der Krabbelgruppe schon genug gelitten.
Das Fiese ist, es gab keine Vorzeichen. Alles fing so harmonisch an: Kinder spielten, Eltern unterhielten sich. Plötzlich kam der Sohn mit seinem Freund im Schlepptau auf mich zu. Der bohrende Blick des Kindes bereitete mir Unbehagen.
Während die zwei zielstrebig in meine Richtung steuerten, entwickelte sich ihre Unterhaltung zu einer hitzigen Debatte. Es schien um Haustiere zu gehen. Bevor der Streit zu eskalieren drohte, griff die Lehrerin ein. Sie stellte sich zwischen die beiden Streithähne, die sich mit roten Köpfen anvisierten.
Ich kann das nicht mehr
„Erzählt mal, was los ist“, säuselte die Pädagogin. Die Gespräche verstummten. Alle Augen richteten sich auf diese Szene. „Der Flori will mir nicht glauben!“, krähte der Sohn den Tränen nahe.
„Was will er dir nicht glauben?“
„Das mit den Pferdebabys.“
In dem Augenblick wich sämtliche Farbe aus meinem Gesicht. „Was ist mit den Pferdebabys?“, wollte die besorgte Lehrerin wissen. Ich verfluchte sie für diese Frage. Mein gehetzter Blick wanderte zu den Fenstern, die allesamt verschlossen waren. Der Weg zur Tür war von Eltern versperrt. Ich bekreuzigte mich stumm.
„Meine Mama hat gesagt, wenn ich ein Pferdebaby haben will, muss der Hengst auf die Luna springen und den Samen aus seinem großen Penis in sie hineinballern wie eine Kanonenkugel!!“
Realitätsverlust
Diese letzten Worte schrie mein Kind wild gestikulierend heraus. In der Absicht, dass die ganze Welt davon erfahren soll. Da sieht man einmal, wie weit die Realitäten von Erwachsenen und Kindern auseinander liegen.
Die Lehrerin musterte mich schockiert. Eine Mutter hielt ihrer Tochter schützend die Hände über die Ohren. Daneben stand ein Junge mit zitternden Lippen. Wer hätte gedacht, dass dieses Aufklärungsgespräch dermaßen nach hinten losgehen könnte.
Ich schaute zu Boden. Die verurteilenden Blicke spürte ich auf mir wie Dolchspitzen. Mein Mund klappte hilflos auf und zu. Dann nahm ich den Sohn an die Hand und verließ unter einem fadenscheinigen Vorwand das Schulhaus. Niemand hielt uns auf.
Ungefragte Aufklärung für alle
Wir gingen schnurstracks in die nächste Buchhandlung, wo ich ein Pferdelexikon sowie ein Aufklärungsbuch für Kinder eintütete. Letzteres sollten wir in den nächsten Tagen gefühlte 1000 Mal in allen Einzelheiten durchgehen.
Seitdem posaunt der Sohn sein neu erworbenes Wissen rund um die menschliche und pferdische Sexualität jedem ungefragt entgegen. Auch wenn das Ganze eher suboptimal verlief, hat die Sache zumindest ein Gutes: Jetzt sind wir alle aufgeklärt.
Meine Tochter neulich im Supermarkt an der Kasse: „Mama, was ist eine Prosi… Moment, ich meinte Prosti-tu-ierte?“
Sie hat jede Silbe ganz laut betont. Ich bin im Boden versunken.
Aufgeklärt hab ich sie dann Zuhause. 😉
Hey Mimi,
ja irgendwann kommen die unangenehmen Fragen 🙂
Mein Sohn hat irgendwann mal das Wort „Wanderhure“ aufgeschnappt und ich sollte ihm diesen Begriff erklären.
Erst wollte ich ihn mit der Erklärung abspeisen, dass es sich um ein Buch handelt.
Sein Wissensdurst war aber größer und so sind wir letztendlich bei der „Hure“ gelandet.
Tja, muss man wohl durch ^^
Liebe Grüße,
Conni