Super-Gau in der Krabbelgruppe

Kind hält sich Hand vor Gesicht Krabbelgruppe Mamablog

Erstellt am 28/02/2019

Mein erster Besuch in der Krabbelgruppe. Ich nehme Anlauf und lande in einer Reihe von Fettnäpfchen. Die Mütter sind ausnahmslos entsetzt – der einzige Mann in der Runde bedauert mich.

Ich habe eine peinliche Wissenslücke, die mir bei der Anmeldung in der Krabbelgruppe erstmals zum Verhängnis wurde: Das Geburtsdatum meines Sohnes konnte ich mir einfach nicht merken.

Vermutlich wollte mein Unterbewusstsein dieses Erlebnis verdrängen, weil es durch den wehengeplagten Höllentrip derart negativ behaftet war. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich durchaus fähig bin, Dinge im Gedächtnis zu behalten.

Ich weiß, dass es am Ätna zwei Skilifte und einen Skiverleih gibt, dass wir im Februar 2037 keinen Vollmond haben werden und die Armee des Vatikans 110 Mann stark ist. Lauter unnütze Sachen, die felsenfest in meinem Kopf verankert sind. Das Problem an der Sache: Der Platz für wirklich wichtige Dinge ist begrenzt.

Verzweifelte Suche nach Verbündeten

Das führt uns direkt zu jenem schicksalhaften Tag in der Krabbelgruppe. Die Mütter sitzen um einen runden Tisch und unterhalten sich angeregt, während die Anmeldeliste herumgeht. Ich beteilige mich kaum an den Gesprächen. Themen rund um Babymützchen, Küchengeräte und Haushaltstipps finde ich eher semi-spannend.

Doch ich scheine nicht die einzige Exotin zu sein. Ein alleinerziehender Vater peppt die Runde auf. Insgeheim hoffe ich, in ihm einem Verbündeten zu finden. Einen, der die ganze Muddi-Sache nicht so ernst nimmt und für erfrischende Gesprächsthemen sorgt.

Dass diese Annahme weit gefehlt ist, dämmert mir bald. Schon mein erster Kommunikationsanlauf ist ein totaler Reinfall, Bei dem Versuch, in eine angeregte Unterhaltung über einen gewissen „Thermomix“ einzusteigen, scheitere ich kläglich.

Unschuldige Frage löst Schnappatmung aus

So leidenschaftlich wie in der Krabbelgruppe darüber gesprochen wird, scheint dieses Teil ein wahrer Alleskönner zu sein. „Man muss überhaupt nichts mehr machen, der nimmt einem alles ab“, höre ich die Mütter schwärmen. Als ich mich dann mit ehrlichem Interesse nach dem Wundergerät erkundige, verstummt die Runde.

Münder öffnen sich schnappend. Dazu klimpern ungläubige Wimpern.
Das ist die Sinfonie des Grauens. Die ist nur zu hören, wenn ringsum unangenehme Stille herrscht. Durchbrochen wird sie von dem Vater, der seine geweiteten Augen auf mich richtet und fragt: „Du weißt echt nicht, was ein Thermomix ist?“

Die halten das für einen Witz. Wäre ich geistesgegenwärtig genug gewesen, hätte ich die angespannte Situation in eine scherzhafte Einlage verwandeln können. Doch mein verdatterter Ausdruck spricht Bände.

Thermomix-Talk als höhere Mission

Woher sollte ich das auch wissen? Immerhin habe ich die letzten Monate ziemlich isoliert mit Haushalt und Babypflege verbracht – das Weltgeschehen ist quasi unbemerkt an mir vorüber gezogen.

Meine einzige Informationsquelle in dieser Zeit war ein Buch über unnützes Wissen. Ich liebe diesen Lesestoff, da er so rein gar nichts mit meinem schnöden Alltag zu tun hat. Das geht mir durch den Kopf, während sich die Supermuttis – und allen voran der Superdaddy – fachkundig daran machen, mir den Mac Gyver der Küchengeräte zu erklären.

Das fühlt sich an, als würde man von einer Gruppe professionell geschulter Handelsvertreter in die Mangel genommen. Dem Eifer nach zu urteilen halten die ihre Aufklärungsarbeit für eine Art höhere Mission – einen Akt der Nächstenliebe, in dem Unwissende wie ich endlich eingeweiht werden.

Haushalts-Fanatiker in der Krabbelgruppe

Wenn sich eine Organisation mit dem Namen „Haushaltsgeräte ohne Grenzen“ gegründet hätte, wären meine enthusiastischen Tischnachbarn ohne zu zögern beigetreten. Dessen bin ich mir sicher. Mit einem derart fanatischen Überzeugungswillen hätten sie das Teil sogar einem Amazonasindianer aufschwatzen können.

Um keinen weiteren Unmut zu provozieren, tue ich, als sei ich über diese Innovation hellauf begeistert. Das ist eine Überlebenstaktik aus meiner Schulzeit: Nichts verstehen und trotzdem nicken. Scheinbar ist das eine zeitlose Geste. Ich ernte von den Teilnehmern der Krabbelgruppe wohlwollende Blicke. 

Erleichtert lehne ich mich zurück. Nichtsahnend, dass ich das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht habe. Das hier ist erst der Anfang. Wäre Fettnäpfchen-Diving eine sportliche Disziplin, würde ich Olympia-Gold holen.

Am imaginären Pranger

Das Geplauder nimmt an Fahrt auf und die Mütter reichen einen Anmeldebogen herum, worauf die Daten der Kinder eingetragen werden. Als die Reihe an mir ist, starre ich angestrengt auf die Zeile „Geburtsdatum“. Mir will diese Zahl ums Verrecken nicht einfallen. Schweißperlen glitzern auf meiner Stirn. Ich schnaufe wie ein Asthmatiker kurz vor dem Kollaps.

Meine Tischnachbarinnen beäugen mich skeptisch – die blonde Zwillingsmutter neben mir saugt scharf die Luft ein. Meinem Gedächtnis hilft das nicht auf die Sprünge. Der Druck macht alles nur noch schlimmer. Bei der Vorstellung, dass ich die Toleranz der Gruppe längst ausgereizt habe und sie mich dafür lynchen wird, pfeife ich wie eine Dampflok.

Vor meinem geistigen Auge tut sich ein improvisierter Pranger auf, den ein geschickter Handwerker-Daddy aus einem Kinderwagengestell gebastelt hat. Eine Konstruktion aus ineinander verkeilten Schnullerketten hält mich in einer demütigenden Position fest, während aufgebrachte Eltern mit Rasseln auf mich losgehen. Manche werfen sogar vollgesogene Spucktücher nach mir.

Krabbelgruppe: Maßlose Enttäuschung

Angewidert von dem imaginären Geruch saurer Milch schüttele ich die Vision ab. Ich muss dieses Drama beenden. Also kritzele ich eine beliebige Zahl auf das Papier – in der Hoffnung, ich sei damit aus dem Schneider. Wer sollte das auch überprüfen?

Drei Monate später taucht die gut gelaunte Gruppenleiterin mit einem Kuchen auf. Sie stimmt ein Lied an, das meinem Sohn gewidmet ist. Ihr Gesicht leuchtet im Schein der brennenden Geburtstagskerze. Alle klatschen in die Hände und stimmen mit ein. Alle außer mir.

Als ich klar mache, dass es sich um ein Versehen handeln muss, ist die Enttäuschung bei allen Beteiligten maßlos. Diese plötzliche Stimmungsschwankung überträgt sich auf die Kinder. Sie quengeln wie Heulbojen – es ist das reinste Desaster. Und zu allem Übel bin ich auch noch die Spielverderberin.

Da bleibt nur noch Schadensbegrenzung

Wenn dieser Thermomix schon so ein Allroundtalent ist, warum kann er mich da nicht herausholen? Das ist es, was sich eine widerwillige Hausfrau wie ich wünscht: Ein heldenhaftes Küchengerät, mit dem man in brenzligen Lagen einfach davondüsen kann.

Ich flüchte mich in Tagträume von superlativen Haushaltsgeräten, die all meine Probleme lösen. Derweil durchwühlt die Leiterin der Krabbelgruppe energisch ihre Papiere. Zu meinem Leidwesen ist ihre Suche von Erfolg gekrönt. Triumphierend hält sie mir die Liste mit meiner Eintragung unter die Nase, sodass jeder es schwarz auf weiß sehen kann.

Peinlich berührt starre ich auf das falsch angegebene Datum. Keinen einzigen Ton bringe ich heraus. Wann mein Sohn denn nun Geburtstag hat, wollen die bohrenden Blicke der anderen wissen. Doch leider habe ich darauf keine Antwort… Ich hätte zwar ausführlich über den Skilift am Ätna referieren können, doch ich entscheide mich aus Gründen der Schadensbegrenzung, zu schweigen.

Die Kunst des Schummelns

Geläutert schlurfe ich nach Hause. Und komme ich an einem Geschäft vorbei, das eine Thermomix-Werbung in der Auslage präsentiert. Die Versuchung ist groß, doch ich bleibe standhaft. Diesen Triumph will ich ihnen nicht gönnen.

Es gibt jetzt Wichtigeres zu tun. Daheim habe ich die Geburtsurkunde studiert. Ich schreibe mir das Datum mit Kuli auf die Hand. Das will ich solange machen, bis ich es auswendig weiß. Wieder so eine Schul-Taktik. Schließlich wird uns ein Leben lang eingetrichtert, wie wichtig Lernen ist.

Und ich habe tatsächlich einiges gelernt: Wenn man schon schummelt, sollte man dabei auch nachdenken. Wenigstens ein bisschen. Oder man schreibt sich die Lösung auf die Hand.

Autor: Constanze Wilz

Ich bin die Anti-Heldin unter den Müttern.
Statt einem inneren Kind habe ich einen inneren Kinski.

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