Holt die Mütter vom Thron!

Mutterbild Frauenfigur mit Kind auf dem Arm Mamablog

Erstellt am 10/05/2020

Mütter sind Meisterinnen in Sachen Selbstaufgabe. Sie werden dafür bejubelt, auf der Strecke zu bleiben. Ich rechne ab mit diesem verzerrten Mutterbild.

Da sitzt sie nun auf Thron, diese zierliche Figur. Alle Ecken und Kanten, die ihre wahre Schönheit einst ausmachten, sind von den Ansprüchen der Gesellschaft abgeschliffen. Glatt und makellos. Ein Mutterbild, in dem man sich spiegeln kann.

Auf den ersten Blick ist die Figur schön anzusehen – doch ihre Augen sind leer. Denn die Last, die sie auf den Schultern trägt, ist erdrückend. Jeder ihrer öffentlichen (Fehl)tritte wird von der Außenwelt bemerkt und schlimmstenfalls verurteilt.

Dennoch wird sie glorifiziert. Ihr Instinkt sei untrüglich, so heißt es. Und für ihre Rolle sei sie prädestiniert. Die Mutter. Sie kümmert sich aufopferungsvoll um die Belange der Kinder, bedenkt auch den Mann liebevoll. Sie selbst kommt erst zum Schluss. Die Bedürfnisse einer Frau hat sie abgelegt. Dafür prangt der Mutter-Stempel fett auf ihrer Stirn.

Die Mutter als Bedürfnis-Erfüllerin

Kochen, Kinder bespaßen, das Heim in Ordnung halten, Seelsorgerin spielen und „nebenbei“ noch Karriere machen: Das soll die moderne Mutter idealerweise unter einen Hut bringen. Erstaunlicherweise schaffen das auch einige. Damit sind sie vermeintlich ganz oben angekommen. Aber wenn sie diesen Thron einmal erreicht haben, stellen sie ernüchtert fest, dass es dort oben ganz schön einsam ist.

Für manche ist das ein regelrechter Schock. Sie trauen sich nicht, wieder herunterzusteigen, weil der Weg hinauf so lange gedauert hat. Da gibt es viele Mütter in diesen erhöhten Positionen, doch sie können einander nicht die Hände reichen. Der Abstand ist zu groß.

Dieses Gefälle haben sie selbst geschaffen durch Konkurrenzkampf, Verurteilung und Missgunst. Dass sie im Herzen alle gleich sind, haben sie verdrängt oder vergessen.
Denn ihre Energie fließt in einen absurden Wettkampf mit dem Titel: „Wer ist die bessere Mutter?“ Unter diesem Motto wird in den sozialen Netzwerken Selbstlosigkeit in Szene gesetzt.

Ein Wettbewerb in Sachen Selbstaufgabe

Ein überhöhtes Mutterbild wird zur Schau gestellt und von allen bejubelt. Es ist wie eine Meisterschaft in Sachen Selbstaufgabe. Die zentrale Frage des Duells: Wer ist bereit, den letzten intimen Rückzugsort aufzugeben? Es gibt Mütter die voller Stolz Bilder präsentieren, wie sie auf dem Klo sitzen und dabei noch das Kind stillen. Ist das noch Multitasking oder schon Kapitulation?

Dass solche Szenarien von den anderen Müttern derbe abgefeiert werden, finde ich erschreckend. Und es zeigt, dass Mütter sich nicht trauen, „egoistisch“ zu handeln und ihren Raum für sich einzufordern. Als ob das verwerflich wäre!

Sie opfern ihr letztes Hemd

Interessant ist, dass die meisten Väter so etwas offenbar nicht nötig haben. Im Gegensatz dazu legen Frauen ein duckmäuserisches Verhalten an den Tag á la: „Also eventuell, wenn es okay ist, würde ich mal kurz alleine aufs Klo gehen…?“

Aus meiner Sicht ist das ein Mindestmaß an Privatsphäre. Diesen Raum beanspruche ich für mich selbst – ohne Wenn und Aber! Schon Kleinkinder können das respektieren, auch wenn es unter anfänglichem Protest geschieht. Daraus entwickelt sich Frustrationstoleranz.

Und wer das nie gelernt hat, weil Mami einfach ALLES macht – weil sie sich selbst an hinterster Stelle positioniert und ihr letztes Hemd opfert, wird es im späteren Leben vermutlich schwer haben.

Ideales Mutterbild: Der Preis der totalen Aufopferung

Daraus entspringen Mädchen, die verinnerlicht haben, dass Aufopferung erstrebenswert ist. Und Jungen, die Frauen als Versorgerinnen betrachten. Ich kenne erschreckend viele Männer, die so denken! Die wollen im Grunde eine Frau vom „Typ Mama.“

Sie sind in vielen Dingen (insbesondere Haushalt) unselbständig und sehen die Partnerin als zuständig an für die Befriedigung ihrer Bedürfnisse. Wenn wir schon beim Thema sind: Sex galt lange Zeit als „eheliche Pflicht“ der Frau. Auch heute noch sind viele Frauen für ihre Partner sexuell verfügbar, weil sie denken, das gehört dazu. Das ist mehr noch als das letzte Hemd – es ist ultimative Selbstaufgabe!

Darum finde ich es problematisch, dass solche Übermütter als Vorbilder gelten.
Irgendwann zerplatzt ihre Seifenblase und sie stellen fest, dass es keinen Orden für bedingungslose Aufopferung gibt.

Diese Frauen ziehen ihren alleinigen Selbstwert aus der Mutterrolle. Das Kind machen sie zum Mittelpunkt ihres Universums. Darüber vergessen sie, dass ihr Lebensinhalt eines Tages der Bedürftigkeit entwächst. Dann ist Schluss mit Kümmern und Bemuttern und den Hintern pudern. Sie werden als Mütter nicht mehr gebraucht. Die Rolle ist verpufft.

Ich gebe nicht alles für mein Kind

Was dann für die einstige Übermutter bleibt, ist nichts: Da ist nichts mehr außerhalb von ihr selbst dem sie ihre volle Aufmerksamkeit widmen kann. Sie ist unweigerlich mit sich selbst konfrontiert.

Das ist wiederum die Chance, zu reflektieren. Welche Glaubenssätze haben sie angetrieben? Viele brüsten sich mit der Aussage: „Ich gebe alles für mein Kind!“
Das klingt zunächst edel und selbstlos.Die Wahrheit ist: Wenn du anderen alles gibst, bleibt für dich selbst nichts mehr übrig.

Das zu erfahren tut weh. Es muss sogar weh tun, damit du dich endlich wieder dir selbst zuwendest und auf deine Bedürfnisse schaust, anstatt die Wunscherfüllerin für dein Umfeld zu sein.

Ecken und Kanten statt verzerrtes Mutterbild

Liebe ist so viel mehr als die Liebe zu deinem Kind! Es hilft nichts, an Kindern oder Partnern zu klammern. Denn am Ende bist du alles, was du hast. Die Wertschätzung dir selbst gegenüber will behütet und gelebt werden – doch sie geht oft unter. Weil der Druck, gefällig zu sein und es allen Recht zu machen, für uns Mütter enorm ist.

Die ganze Gesellschaft krankt an diesem verzerrten Mutterbild. Darum bin ich dafür, den Müttern von ihrem Thron zu helfen.

Wir sollten ihnen die Hand reichen und sie in unsere Mitte aufnehmen. Dort sollen sie gefeiert werden. Nicht für ihre Selbstlosigkeit, sondern für ihre Fehler, ihre Ecken und Kanten, ihren Mut zum Egoismus und ihr einzigartiges Frausein.

Autor: Constanze Wilz

Ich bin die Anti-Heldin unter den Müttern.
Statt einem inneren Kind habe ich einen inneren Kinski.

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Ella
Ella
4 Jahre zuvor

Bewegend, tiefgreifend, kraftvoll. Deine Worte haben richtig Power. Und sie kamen heute am Muttertag genau im richtigen Moment!

Rabenmutter
Rabenmutter
4 Jahre zuvor

Am liebsten würde ich den Text ausdrucken und neben meinem Spiegel hängen, um mich täglich daran zu erinnern. Du rüttelst uns Mütter wach.

Katharina
Katharina
4 Jahre zuvor

Ganz ehrlich: Der Titel hat mich zuerst abgeschreckt. Ich war fast schon schockiert von dieser Aussage und wollte weiterscrollen … irgendwie war ich aber doch angetriggert und habe reingelesen. Den Artikel habe ich regelrecht verschlungen. Am besten gefällt mir der Satz zum Schluss.
Dein Schreibstil ist angenehm zu lesen. LG Kathi

Jojo
Jojo
4 Jahre zuvor

Ich bin so eine Mama, die es immer allen Recht machen will. Dabei komme ich an meine Grenzen und es ärgert mich, wenn ich als selbstverständlich angesehen werde! Viel kommt auch nicht zurück. Gestern hätte ich mir wenigstens Frühstück ans Bett gewünscht, aber nichts. Stattdessen drei Maschinen gewaschen. Manchmal denke ich mir wie es wohl wäre, wenn meine Familie zwei Wochen ohne mich auskommen müsste. Die würden sich wundern. Vielleicht würden sie auch ihre Mentalität überdenken. Die heißt: „Mama wirds schon machen“ …

Frau S.
Frau S.
4 Jahre zuvor

Das ist ein sehr mutiges Manifest!

Miami Vice
Miami Vice
4 Jahre zuvor

Hallo liebe Constanze,
ich bin begeistert von deinem Blog! Deine Beiträge sind so vielseitig. Sie regen zum Nachdenken (Umdenken) an, und der Humor kommt auch nicht zu kuerz. Deine Art hebt sich stark von den anderen Mamablogs ab, die ich so kenne. Backrezepte, Lifestyle und Heile-Welt-Geschichten zeigen nicht das Leben mit Kindern, wie es wirklich ist. Darum stoße ich auf deine Echtheit an und deinen Mut, dich so zu zeigen. Prost!
Und mach weiter so!

Tinchen
Tinchen
4 Jahre zuvor

Danke, danke, danke für diese wertvollen Worte! Diesen Konkurrenzkampf unter den Müttern erlebe ich tagtäglich und es ist nicht schön anzusehen. Immerhin hat man als Mutter eh schon genug an der Backe – warum also seine Energie in diesen „Wettkampf“ stecken, wie du es so treffend beschreibst? Und ja, ich denke auch dass sich die Mütter selbst auf diesen Thron setzen. Durch ihre hohen Ansprüche an sich selbst. Wo also anfangen? ich glaube, wenn die Gesellschaft erstmal ihre Ansprüche an Mütter zurückschraubt, dann fällt es schon viel leichter, vom „Thron“ zu steigen. Liebe Grüße, Tine

Imke
Imke
4 Jahre zuvor

Sag das mal den Muttis, die sich damit brüsten, AP zu praktizieren, und einen Post nach dem anderen raushauen, wo sie die Bedürfnisse der Kinder über alles stellen! Das ist Wahnsinn. Und entspricht überhaupt nicht dem Ursprungsgedanken von AP. Dabei werden nämlich die Bedürfnisse aller (!!) als gleichwertig betrachtet.

Astrid
Astrid
4 Jahre zuvor

Fuck Selbstaufopferung!! Was ein geiler Beitrag!

Ina
Ina
4 Jahre zuvor

Ich feiere dich für diesen Artikel! Es wird endlich Zeit diesen Instagram-Mama-Perfektionismus zu zerschmettert!

Leuchtfeuer
Leuchtfeuer
4 Jahre zuvor

Genauso ist es! Ich will am liebsten ganz laut „Jaaa!!“ schreien. Du hast die passenden Worte gefunden und es auf den Punkt gebracht.
Die nackte Wahrheit, wie man so schön sagt 🙂

Queen
Queen
4 Jahre zuvor

Das ist einer der besten Artikel zum Thema Mutterschaft, die ich jemals gelesen habe! An einer Stelle muss ich dir aber widersprechen. Du sagst, dass solche aufopfernden Mütter dies an ihre Töchter weitergeben. Zu meiner persönlichen Geschichte: Meine Mutter war genauso. Hat immer alle bedient und sich an letzte Position gestellt. ich fand das aber gar nicht schön! Für mich was das ein negatives Beispiel und ich wollte niemals so werden wie meine Mutter. Weil am Ende war sie tatsächlich alleine, nachdem alle Kinder aus dem Haus waren. Sie wusste nichts mit sich anzufangen. Ich und meine Geschwister haben uns… Weiterlesen »

Susanne
Susanne
4 Jahre zuvor

Ich bin so froh, dass ich über deinen Artikel gestolpert bin! Es ist wahr, was du beschreibst und Corona macht das alles nur noch schlimmer! Mütter sind deswegen nur noch am kompensieren, die Chancengleichheit ist dahin. Ebenso die Emanzipation, alles für die Katz. Frauen zurück an den Herd, weil der Mann verdient sowieso besser. Ganz selbstverständlich „dürfen“ die Frauen wieder das Hausmuttchen spielen. Am besten noch Homeschooling, Haushalt und Homeoffice auf einmal wuppen. Weil für Multitasking sind wir aufgrund unserer Chromosomenanzahl angeblich prädestiniert. In der Krise wird deutlich, was wir Mütter alltäglich leisten – niemand bezahlt uns dafür! Wenn wir… Weiterlesen »

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